Josef Taucher. Malerei. Text.


Werner Fenz | josef taucher. bilder 81.


Josef Taucher, Abtragung XXXV, 1983, Öl/Molino, 450 x 250 cm (Triptychon, linke Tafel), Foto © P. Gottwald
Josef Taucher, Abtragung XXXV, 1983, Öl/Molino, 450 x 250 cm (Triptychon, linke Tafel) Foto © P. Gottwald

vor den bildern josef tauchers stellt sich nicht nur die frage nach dem grad der realitätsannäherung eines künstlerischen werkes, sondern auch nach den traditionen einer malerischen gattung, die sich von der landschaftsmalerei im allgemeinen auf die gebirgsmalerei im speziellen einengen läßt. das wiederaufgreifen von bildmotiven und ihre verwandlung führen vor dem hintergrund des gebrauches einer vertrauten ästhetik heute genauso zu den drängenden versuchen einer

aufdeckung von ansatzpunkten und motivationen wie eindeutige formal-ästhetische verweigerungsäußerungen. das bedeutet, daß die ausgesetzte irritation des betrachters von seiten des produzenten einer erklärung, ja einer rechtfertigung bedarf. umso mehr, als die bildästhetik in ihrer schärfe vom „weg-haus-hügel-wolken-rezept“,

genauso deutlich abgehoben ist wie von einer nur aufgeblasenen

detailkonzeption. taucher vergrößert nicht einzelelemente bis sie

(groß)formatfüllend ein neues bildgefüge ausmachen, er reiht sich mit seiner arbeit in die folge grundsätzlicher auseinandersetzungen mit dem Motiv. die felsige landschaftskonzeption, um eine tradition stichwortartig einzufangen, darf nicht erst mit den niederländischen manieristen oder gar den "heroikern" des 19. jahrhunderts vom schlage eines joseph anton koch aufgezeigt werden. gerade in der frühen griechischen malerei spielt das massive gestein als kulissenstück einer naturdarstellung eine wesentliche rolle. was dort versatzstück zur erzeugung und damit vortäuschung eines raumes ist (in Übereinstimmung mit der gar nicht so lieblichen gebirgswelt arkadiens?), wird in der mittelalterlichen kunst zur inhaltlich bedeutsamen formel verkürzt. auf den felsen verzichtet auch diese weitgehend unsinnliche malerei in ölberg- und

grablegungsszenen nicht. was hier zeichen ist, entwickelt sich unter den verwandelten bedingungen einer immer detailreicher geschauten und wiedergegebenen natur zum staunend vorgebrachten, oftmals kuriosen formenvokabular manieristischer landschaftskunst. bizarr, unzugänglich, ja verfremdet erscheint uns die umsetzung dessen ins bild, was die künstler tatsächlich erschauten oder in berichten vernahmen. freilich mildert eine gewisse ausgeglichenheit im einsatz naturnaher elemente oftmals die dominanz gebirgiger welten. erst mit dem „erneuerer der deutschen kunst“, koch, tritt die auseinandersetzung mit der gebirgswelt in ein stadium, das sich auf einer ebene mit neueren felsenmotiven und also auch mit tauchers bildfundus vergleichen läßt. ein wesentlicher wandel in der auseinandersetzung mit dem naturmotiv der gebirgigen landschaft tritt in dem moment auf, da die darstellung geologischer formationen in den mittelpunkt des interesses rückt. damit wird das gebirgspanorama, der felsstock, die wand sowohl aus dem zeichenrepertoire einerseits (formelhafte ortsangabe im sinne inhaltlicher verdeutlichung) als auch aus dem weltbeschreibungsrepertoire andererseits herausgenommen. die schilderung des felsigen, kristallinen, der tektonischen formen aus gestein und schnee versucht wesentliche strukturell zu erfassen und zu beschreiben. in der inhaltlichen dimension reicht die Wirkung dieser darstellung von der partiellen wirklichkeitsbeschreibung mit

monumentalen akzenten (koch) bis zum aufbau geordneter monumentalität (ferdinand hodler, kolo moser).

die begehbarkeit des alpinen lebensraumes (in diesem zusammenhang ohne scharfe differenzierung zwischen staffagefiguren profaner oder mythologischer provenienz) mit den besonderheiten geologischer formationen mündet in das figurenlose, zeichnerische wie farbig gleichermaßen stark differenzierte, bergpanorama, in dem das lineament entweder zur festsetzung plastischer werte oder zur bizarr bzw. gerundeten umrißakzentuierung dient.

an diese tradition der beschreibung von naturformen besonderer ausprägung schließt josef taucher an und bezieht damit deutlich eine gegenposition zu einem naturbild rein imaginativen oder fiktiven charakters. durch diesen klaren ansatzpunkt wird natur als projektionsfeld psychologischer gestimmtheiten sowohl in der form der sehnsuchtserfüllung wie der existentiellen bedrohung vermieden. seit langer zeit beschäftigt sich der maler und grafiker taucher mit einer exakten bezeichnung der sichtbaren wirklichkeit, wobei seine arbeit zunächst vor allem die vorliebe für die beobachtung und umsetzung von details auszeichnete. belege dafür stammen noch aus der  studienzeit, wo mit gleichgesinnten freunden vor allem der zeichnung ein wesentlicher rang in einer auseinandersetzung unter künstlerischen kriterien eingeräumt wurde. mehr und mehr bildete sich die vorliebe für den erlebnisraum der freien natur aus, wobei besonders formbildung und formauflösung von wolkenformationen in den mittelpunkt rückten. dabei deutete sich bereits nachdrücklich die große fläche als adäquater bildträger

an. diese atomsphärischen gebilde breiteten sich aber nicht nur im flächigen koordinatensystem aus, sondern drängten auch in den raum, nach vor und in die bildtiefe. ganz im sinne einer nahtstelle "kristallisierten“, sich neben den wolkenformationen felsige bergrücken heraus, wobei die unterschiedlichkeit der formmaterialien einen wesentlichen sinnlichen erfahrungsreiz ausmachte. in einer fortschreitenden konzentration gelangt taucher in den bildern des jahres 1981 zu einer eigenwilligen beschreibung der hochgebirgslandschaften. hoch ragen die felsigen formationen auf, der ausschnitthafte charakter steigert, obwohl uns konkrete größenverhältnisse fehlen, den monumentalen charakter der bergwelt. die panoramaartige sicht der gipfel tritt zurück, vor uns steht die zerklüftete wand. ihre räumliche dimension gewinnt sie aus einer reichen struktur, die mit hilfe der Linie entsteht, und der gegenüberstellung zu almartigen wiesen und geländeformationen. auch sie sind von den Bildrändern überschnitten und nehmen uns den blick auf einen weiteren umgebungsbereich. in dieser immer strenger werdenden auschnitthaftigkeit gelingt es taucher trotz fehlender maßstäbe nicht nur das gefühl für höhe und monumentalität

mit hilfe farbiger gestaltung zu erzielen (er bedient sich dabei im wesentlichen der klassischen vorder- und hintergrundeinteilung auf farbperspektivischer grundlage), sondern auch seinen geistigen ansatzpunkt unmißverständlich auszusprechen: durch diese extreme nahsicht werden die als geologische formationen

nachvollziehbaren gebirgsstöcke und -wände aus der landschaftlichen gesamtschau herausgehoben und in die augenhöhe und -nähe des betrachters gerückt. aus dieser mit farb- und formgefühl herbeigeführten konfrontation gibt es kein entrinnen, kein abschweifen des blickes in benachbarte regionen. das auge wird über abbrüche und schluchzen immer weiter auf die zentrale felswand zu oder unmittelbar an die meist horizontlosen plastisch stark differenzierten bildgründe geführt. in dieser nahsicht nun offenbart sich der mögliche nachvollzug eines

erlebnisbereiches, den der maler taucher ins bild setzt. er schafft eine wirklichkeit neu, deren qualität nicht am grad der übereinstimmung mit der tatsächlichen zu messen ist, sondern an der bildgewordenen erlebnisdichte, an den farbigen und formalen reizen, an den überschneidungen und konfrontationen, an den sich fast verselbständigenden strukturen, die wie eine zweite haut den tektonischen massen übergezogen sind (womit die räumliche Gestaltung in der flächigen fest verankert ist). faßt man die verwendeten bildelemente zusammen, ergibt sich die tatsache, daß uns taucher mit hilfe der tele-perspektive so nah wie möglich an einen "ort des geschehens“, bringen will.

dieser ort erweist sich als verschiedene ausformungen einer rauhen hochgebirgslandschaft in dünner luft.

mit den typischen charakteristika dieses landschaftsausschnittes versehen spiegelt sich in ihm durch die unmittelbarkeit der darstellung, die ungewohnte und den betrachter in die gegend verstrickenden perspektive ein subjektives naturerlebnis, das in geklärter form vermittelt wird. indem er uns in diese welt hineinstellt, uns ihr gegenübertreten läßt, sagt er zugleich etwas über ihre größe aus, ihre einsamkeit und ihre ästhetischen reize.

in dieser unmittelbaren einbeziehung des betrachters geht taucher über die tradition der heroischen landschaft des 19. jahrhunderts und die ausformungen des monumentalismus in der stilkunst am beginn des 20. jahrhunderts hinaus. gleichzeitig erweist er sich als vertraut mit den möglichkeiten, neue bezugsfelder zur realität aufzubauen und schafft mit hilfe neuer perspektiven neue erlebnisräume..

 

Werner Fenz: josef taucher. bilder 81. In: Ausstellungskatalog steirischer herbst (Personale Josef Taucher, Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum Graz/Joanneum-Ecksaal, Kurator: Werner Fenz, Graz 1981 (19.10.-15.11.1981), 13 S. 

Werner Fenz (1944 -2016) war österr. Kunsthistoriker, Ausstellungs- und Projektkurator und Experte für die Malerei von Josef Taucher ab den 1970er Jahren.